Forschungsprojekt "In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen"

Manchmal müssen Routinen durchbrochen werden, damit Neues entsteht

Dialogisches Interview mit Dr. Herbert Greisberger
Generalsekretär ÖGUT
14. Dezember 2009

Das dialogische Interview führte Hanna Mandl *

 
Hanna Mandl: Was bedeutet für Ihre Organisation die Krise? Was gilt es für die ÖGUT beizubehalten, was zu innovieren, was über Bord zu werfen?
 
Herbert Greisberger: Wir sehen uns nicht in der Krise oder nach der Krise, sondern vor der Krise, weil öffentliche Budgets erst im Jahr 2011/12/13 relevante Einschnitte erfahren werden. Das wäre meine Prognose und Assoziation zur Krise. Die Frage, was bewahren, was verändern, stellt sich auch ohne Krise immer wieder. In der Krise an sich würde ich eher eine Chance sehen. Unsere MitarbeiterInnen sind nicht immer in der Position ihr volles Leistungspotenzial zu nutzen bzw.  haben wenig Chance, sich zu anderen Themen, zu anderen hierarchischen Ebenen, oder zu anderen Tätigkeiten hin zu entwickeln. Durch die Krise werden manche gezwungen, ihre Tätigkeit in längeren Projekten zu beenden und sich zu fragen: Was sind die nächsten Projekte, die ich in Angriff nehme? Wo liegen meine Stärken, und wo kann ich sie besser einsetzen? Manchmal müssen Routinen durchbrochen werden, damit Neues entsteht, und das ist es, was ich für die Zukunft erwarte.
Jetzt sind wir sozusagen vor der Krise, insofern sind wir zu nichts gezwungen. Aber durch eine Krise werden bestimmte Tätigkeiten oder Projekte, die eine starke Routine bekommen haben, hinterfragt; in wie weit sie wirklich notwendig sind, wie weit sie eine Wirkung haben, wie weit das Investment sich für den Auftraggeber wirklich lohnt. Das wird überdacht werden. Und das finde ich eigentlich positiv.
 
HM: Welches Projekt, hatte in letzter Zeit die stärkste Wirkung nach außen?
 
Herbert Greisberger: Die stärkste Wirksamkeit hatte das Projekt FEMtech Kompetenzzentrum. Die Aufgabe war, Frauen im Bereich Forschung und Technologie zu stärken und besser zu positionieren.
Es gab Situationen, wo man Frauen in eine bestimmte Jury holen wollte, und gedacht hat, es gäbe da keine Frauen. Das stimmte natürlich nicht. In der von uns entwickelten FEMtech Expertinnendatenbank sind jetzt 1000 Frauen eingetragen. Wenn Sie irgendein Thema bearbeiten möchten und Expertinnen suchen, brauchen Sie nur dort nachzusehen. Dieses Projekt war sehr sichtbar, und hat sehr vielen Personen konkret geholfen.
 
HM: Das klingt ermutigend. Besonders da ich das Gefühl habe, dass Frauen meist nicht so laut in die Welt posaunen, woran sie arbeiten, was ihre Stärken sind, und in welchen Gremien sie gerne mitarbeiten würden. Was sind innovative Projekte, die Ihnen für die Zukunft wichtig sind?
 
Herbert Greisberger: Wir bearbeiten in der Regel externe Aufträge. Das hat etwas Interessantes, Nettes, manchmal Spannendes, aber nicht immer. Bei selbst definierten Vorhaben wie dem ÖGUT-Zukunftsdialog 2035 gibt es selbstverständlich höhere Freiheitsgrade. Ich erwarte mir jetzt einiges von unserem Zukunftsdialog, weil der für uns etwas ist, wo wir uns abseits des täglichen Arbeitens weiterentwickeln. Das gibt uns als Organisation Zeit, über Dinge nachzudenken, die wir in Projekten eigentlich nur beschränkt zur Sprache bringen, die wir aber für wesentlich halten. Das sind Fragen, die uns als Organisation den Impuls geben, Projekte durchaus etwas anders zu konzipieren, längerfristige Entwicklungen zu sehen, und Dinge zu erforschen, die keine unmittelbare praktische Handlungsrelevanz haben, die uns aber stärken.
Wir haben im November zu einem internen Zukunftsdialog eingeladen. Meine Erwartung war, dass wir eine Zusage-Rate von 20-30% haben würden. Ich dachte, die eingeladenen Expertinnen und Experten hätten im Prinzip nichts davon, außer sich mit anderen Personen zwei Tage lang über die Zukunft zu unterhalten. Das tut man zwar gerne, man hat aber keine Zeit. Die Zusage-Rate lag dann bei über 80%. Man hat sich wirklich Zeit genommen, für zwei Tage wegzufahren. Und das hat für mich geheißen, dass es ein Bedürfnis gibt, einmal ein bisschen freier miteinander zu denken. Das ist eigentlich das spannendste Projekt im Jahr 2010, sowohl für die Personen als auch für die Organisation. Und ich glaube, es wird die Organisation auch ein wenig prägen.
 
HM: Was waren denn die Fragestellungen in diesem Zukunftsdialog? Wie hat er sich entwickelt?
 
Herbert Greisberger: Der Ausgangspunkt war die Ressourcenknappheit, Peak Oil oder Peak Metalle, also die materielle Basis unseres Wirtschaftens. Die Tatsache, dass wir mittelfristig – die nächsten 20, 30 oder 50 Jahre – in wirklich ernsthafte Probleme laufen. Das war so der Ausgangspunkt der Überlegungen. Und was dann? Wir kamen dann darauf zu sprechen, dass wir auch als Ökonomen die Zukunft als Verlängerung der Vergangenheit sehen. Wir stellten uns die Aufgabe, die Brüche zu identifizieren, die es hier geben könnte. Es gab dann auch noch ganz andere Themen wie Verteilungsfragen, soziale Fragen und die Integration von MigrantInnen. Dann gab es auch Themen, die man nicht unmittelbar mit Umweltfragen verbinden würde, die aber unserer Erwartung nach starken Einfluss darauf haben, was die Umweltthemen sein werden, und wie wir als Gesellschaft damit umgehen werden. Zum Beispiel das Thema Medien. Und auf einmal ist der Dialog sehr breit geworden. Dies hat auch zur Folge, dass neue Gruppen eingebunden werden müssen, die nicht klassischerweise zu den Stakeholdergruppen unseres Unternehmens gehören. Aus dieser Öffnung erwarten wir uns viel Spannendes für unsere Diskussion zu Zukunftsfragen.

1. Ziel des einjährigen Zukunftsdialoges ist die Erarbeitung von strategischen Leitlinien für nachhaltiges Handeln
 
HM: Werden durch die Themen der ÖGUT deren Auftraggeber oder deren Potentiale für Innovationen angestoßen?
 
Herbert Greisberger: Unsere Stakeholdergruppen sind oft auch unsere Auftraggeber, ob das jetzt die Unternehmen sind oder die öffentliche Hand. Sie werden in den Dialog eingebunden. Das heißt ein Mitdenken und Entwicklung findet auf beiden Seiten statt.
 
HM: Können Sie über den weiteren Zukunftsdialog ein bisschen mehr sagen, zum Beispiel, wie die Kommunikation und der Austausch zwischen den verschiedenen Stakeholdergruppen stattfinden wird?
 
Herbert Greisberger: Es gibt Begleitgruppen, in denen Umweltorganisationen, Verwaltung und Wirtschaft gleichmäßig vertreten sind. Deren Aufgabe ist es, diesen Prozess zu steuern sowie eine Zukunftsgruppe, die als Impulsgeber und Feedbackinstitution fungiert. Und dann gibt es 3 Dialoggruppen aus jeweils etwa 10 geladenen Expertinnen und Experten, deren Aufgabe es ist, Fragen und mögliche Antworten für eine internetbasierte Befragung zu erarbeiten sowie Leitlinien für zukünftiges Handeln zu formulieren.
Ähnliches haben wir bisher zwei Mal gemacht, und in beiden Fällen hat sich gezeigt, dass die Antworten, die wir von den Vertretern der Umweltorganisationen, der Wirtschaft und der Verwaltung bekommen, sehr homogen sind, wenn es um längerfristige Fragen geht. Nur wenn es um Fragen geht, die nächste Woche im Parlament entschieden werden sollen, dann können die Meinungen sehr stark auseinander gehen. Aber wie gesagt, das längerfristige Ziel und das Bewusstsein für bestimmte Fragestellungen sind sehr homogen. Darauf wollen wir aufbauen, indem wir schauen, wie wir die große Homogenität in unseren Stakeholdergruppen in der längerfristigen Sichtweise auch für kurzfristigere Entscheidungen, wie sie im politischen Umfeld letztendlich jeden Tag getroffen werden müssen, nutzen können.
Es wird eine sehr breite Befragung von wahrscheinlich deutlich über 1.000 Personen geben. Und wir werden in der zweiten Jahreshälfte mit den Dialoggruppen versuchen, aus diesen Antworten Leitlinien zu formulieren, die dann am Jahresende präsentiert werden. Leitlinie heißt nicht unmittelbar politisch handlungsrelevant, aber hinreichend konkret, um greifbare Schlüsse daraus ziehen zu können. Aber wie scharf das wird, das wird man noch sehen.
 
HM: Und wie sehr werden diese Leitlinien dann wirklich in Handlungen umgesetzt? Sehen Sie da konkrete Möglichkeiten?
 
Herbert Greisberger: Wenn es uns gelingt, die relevanten Stakeholder zu involvieren, dann werden Leitlinien auch umgesetzt. Wenn wir das für uns alleine machen, werden sie nicht umgesetzt werden. Wir wollen erreichen, dass die Leitlinien außer für unsere Organisation auch für andere zur Realität werden. Darum werden wir uns bemühen.
 
2. Intelligente Vorschläge waren beliebter als nur konsensfähige
 
HM: Wenn ich so die Zeitung lese, bekomme ich oft das Gefühl, dass die Partikularinteressen teilweise so stark auseinanderfallen, dass selbst wenn die einzelnen Organisationen oder Gruppen eine hohe Intelligenz haben, es nicht gelingt, gemeinsam einen wirklich intelligenten Schritt vorwärts zu machen.
 
Herbert Greisberger: Das würde ich so nicht sagen. Zumindest aus unserer Erfahrung gibt es das Gemeinsame. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt ja hin und wieder Wahlen, und dann gibt es Koalitionsverhandlungen. Wir haben Vertreter der Umweltorganisationen und der Wirtschaft eingeladen. Die Verwaltung blieb in dem Falle ein bisschen außen vor, denn sie kann schlecht Vorschläge für eine Regierungsverhandlung entwickeln. Also diese zwei Gruppen sind eingeladen worden mit der Frage an jeden Teilnehmer: Was wäre für die Regierungsverhandlung ein für Umwelt und Wirtschaft konsensfähiger Vorschlag, und was wäre ein zwar wertvoller Vorschlag, der wahrscheinlich nicht konsensfähig ist? Diese gesammelten Vorschläge wurden dann aufgelistet und priorisiert. Von den Vorschlägen, die dann ausformuliert wurden, kamen vier aus der Gruppe „intelligent aber nicht konsensfähig“ und nur einer aus der Gruppe „konsensfähig“. Das heißt, es stellte sich heraus, dass auf beiden Seiten die intelligenten Vorschläge beliebter waren als die nur konsensfähigen. Und von den fünf Vorschlägen wurden drei im Regierungsprogramm umgesetzt und beim vierten gibt es immer noch Anfragen, wie man das jetzt wohl machen könnte. Das ist so ein bisschen ÖGUT-Arbeit.
 
HM: Das heißt, sie haben auch Hebel in die Politik?
 
Herbert Greisberger: Ja, das entspricht dem Gründungsauftrag. Das ist weniger kompliziert, als man sich das vorstellt.
 
HM: Ja, das klingt manchmal kompliziert.
 
Herbert Greisberger: Bei Regierungsverhandlungen werden so viele Themen verhandelt, und oft ist man ganz froh, wenn es einen halbwegs ausformulierten Vorschlag gibt, der nicht konfliktär ist. Es gibt ohnehin genügend Konfliktthemen. Und so wird manches relativ leicht aufgenommen.
Also der Ausgangspunkt waren die Partikularinteressen.
 
HM: Ja, und die kollektive Intelligenz – und diese manchmal mit Fragezeichen.
 
3. Evaluierung gehört in protestantischen Ländern klar zum Prozess
 
Herbert Greisberger: Ja, es wird in diesem Prozess wohl auch erforderlich, dass man Teile der protestantisch geprägten Kultur übernimmt. Was ich damit anspreche ist, dass Katholiken gern beichten gehen und es daher etwas weniger genau nehmen, was sie sagen oder tun. In einer guten politischen Kultur muss man sich aber angewöhnen, dass Behauptungen auch halten müssen. Dazu braucht es ein Monitoring.
Man kann nicht alle Indikatoren ignorieren, die zeigen, dass wir das Kyoto - Ziel nicht erreichen werden. „Wir erreichen das, wir übererfüllen das“ – wenn ich einen Minister vor zwei Jahren noch richtig zitiere. Solche Aussagen sind ohne Basis. Da müssen wir etwas lernen. Da sehen wir, dass Personen, die sich darum bemühen, halbwegs ernst zu nehmende Gesprächspartner zu sein, logischerweise auch auf Fakten Bezug nehmen müssen. Und man muss auch in der Lage sein zu erkennen, wenn ein eingeschlagener Weg nicht der richtige ist. Das Thema Evaluierung ist in einem katholischen Land wie Österreich immer sehr schwierig gewesen, während es in protestantischen oder nördlichen Ländern klar zum Prozess gehört.
An dieser Kulturänderung wollen wir mitarbeiten
 
HM: Besteht in unserer katholischen Kultur auch mehr die Tendenz, Schuldige zu suchen anstatt Probleme systemisch zu begreifen?
 
Herbert Greisberger: Auch den Effekt gibt es. Katholiken sind schon ganz glücklich, wenn sie einen Schuldigen haben. Dann ist die Analyse im Wesentlichen auch erledigt. Denn der Schuldige wurde gefunden, und dann geht man wieder zur Tagesordnung über. Und in mehr als 90% der Fälle müsste man mehr tun, als den Schuldigen zu finden. Das System hat dazu geführt, dass man bestimmte Ziele nicht erreicht. Es ist selten eine einzelne Person. Aber man glaubt, es an einer Person festmachen zu können.
 
HM: Und würden sie sagen, dass bei uns hier Lernen stattfindet, auch von der protestantischen Kultur?
 
Herbert Greisberger: Es findet deshalb statt, weil Österreich kulturell ein katholisches Land ist; die Europäische Union hingegen protestantisch. Also in Europa können sie nicht alles machen. Und natürlich ist das peinlich für Österreich – wenn ich wieder in die Historie der letzten Regierung gehen darf. Wenn im Regierungsprogramm steht: 45% erneuerbare Energien werden erreicht. Die Europäische Union schreibt Österreich 34% vor, und Österreich geht dann hin und sagt: Das ist völlig unerreichbar. Und die Europäische Union sagt dann: In Ihrem Regierungsprogramm stehen aber 45 %. Mich würde interessieren, was man dann erwidert? Das ist ja nur ein Regierungsprogramm?
Nimmt man sich selbst nicht mehr ernst? Man setzt das einfach hin, ohne großes Nachdenken, weiß dass man es nicht erreichen wird, und sagt es trotzdem. Und solche Dinge gehen in der Europäischen Union nicht. Ziele, die vereinbart werden, werden auch ernst genommen und erfahren ein Monitoring. Und das ist etwas, was sukzessive dann auch in Österreich einsickern wird und unvermeidbar ist. Das geht dann nicht auf österreichische Art: Man geht halt beichten, sich entschuldigen, und dann hat sich die Sache gehabt, und man wählt ein neues Ziel. Das geht da nicht mehr, und darum erwarte ich hier auch einen Kulturbruch, den ich unterstütze!
 
HM: Welche Veränderungen sehen sie als realistisch in der österreichischen Politik?

4. In Österreich fehlt eine kritische Medieninstanz
 
Herbert Greisberger: Die Politik ist ein System, wie viele andere Systeme auch. Sie folgt also bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Das ist zunächst weder negativ noch positiv zu bewerten. Und wenn man den Eindruck hat, dass die Politik falsche Erwartungen weckt, dann ist es nicht die Schuld einer einzigen Person, sondern die Tatsache, dass in Österreich ein kritisches Korrektiv fehlt. Also man darf hier Dinge behaupten, von denen jede vernünftige Person weiß: Das wird nicht eintreten. Und wenn man das darf, dann wird es auch ausgenützt. Jetzt werden gerade wieder Hunderter von irgendeinem Landeshauptmann verteilt, was durch das Zusammentreffen mit der Entwicklung einer gewissen Bank in diesem Bundesland keine günstige Optik gibt. Im Prinzip darf man hier so agieren – es wird sogar belohnt. Also ein Landeshauptmann, der wegen irgendetwas 100 Euro verteilt, wird in diesem System positiv belohnt. Und dann darf man sich nicht wundern, wenn das bald jeder macht. Also es sind nicht einzelne Politiker, es ist wirklich das System. Und da fehlt in Österreich eine kritische Medieninstanz. Da sind es die Medien, die nicht funktionieren, denn die hätten die Aufgabe, die Politik kritisch zu hinterfragen. Und wenn das fehlt, darf man sich nicht wundern, dass die Politik so ist wie sie ist.
Können sie mir den letzten zurückgetretenen Politiker in Österreich nennen? Zurückgetreten deshalb, weil Ziele nicht erreicht wurden? Entweder erreichen alle österreichischen Politiker ihre Ziele, oder es gibt einfach keinen Druck, dass jemand Konsequenzen zieht – auch persönliche Konsequenzen zieht.
 
HM: Also mir fällt jetzt spontan niemand ein.
 
Herbert Greisberger: Ja, mir fällt ehrlich gesagt auch niemand ein. Das war zuletzt in Urzeiten.
 
HM: Aber dafür, welche Art von Kultur wir da jetzt beschreiben, wirken Sie sehr optimistisch und ich würde gerne wissen, woher Sie diesen Optimismus nehmen!
 
Herbert Greisberger: Unter anderem von den Entwicklungen auf europäischer Ebene! Und die Zukunft gehört solchen Institutionen wie der Europäischen Union. Das sehe ich einfach so. Da wird sich Österreich nicht wirklich abkoppeln können.
Bei dem was wir vor Ort tun, ist Österreich im ökologischen Bereich sehr gut, unter anderem weil wir reich an Ressourcen sind. Was die politische Kultur betrifft, gibt es Oasen, in denen man überleben kann. Dann wird das weitere davon abhängen, ob es wieder so etwas geben wird wie Zivilgesellschaft. Die Betonung ist dabei auf das „Wieder“. Und ob es ein System gibt, in dem man rationale Überlegungen noch stärker in den Mittelpunkt stellt. Das erfordert Zivilcourage von vielen Seiten. Und ich hoffe doch, dass das wieder eintritt. Meinem Empfinden nach hatten wir das schon einmal und haben das wirklich verloren.
 
HM: Woran denken Sie, wenn Sie sagen, das hatten wir schon einmal?
 
Herbert Greisberger: Wir hatten schon einmal einen besseren Umgang mit Besetzungen von Positionen nahe der öffentlichen Hand. Das haben wir verloren, und aus meiner Sicht hat die schwarz-blaue Regierung ein besonders schlechtes Beispiel gegeben. Davor war es wesentlich besser. Es ist verlorengegangen, dass man bestimmte Qualifikationen braucht, um eine Position zu besetzen. Die Proteste haben eigentlich nichts bewirkt. Und das ist schade, weil es sich systematisch auf die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft auswirkt. Weil das Besetzen von hierarchisch gehobenen Positionen nicht davon abhängt, ob Sie eine Leistung erbringen, befähigt sind und sich weiterentwickeln, sondern primär davon abhängt, ob Sie jemanden kennen, der einen Einfluss auf die Vergabe dieser Positionen hat. Und derartige Dinge führen derzeit leider nicht dazu, dass die Entscheidungsträger in Bedrängnis kommen. Diesbezüglich hatten wir schon eine wesentlich bessere Kultur.
 
HM: Hat die ÖGUT eine Rolle in der Stärkung der Zivilgesellschaft?
 
Herbert Greisberger: Es gibt in der ÖGUT den Bereich Bürgerbeteiligung, Partizipation, wo es viel um die Zivilgesellschaft geht. In Zukunft ist das eine Frage der Demokratie – wohin sich die entwickeln wird. Das zuvor erwähnte Genderkompetenz-Zentrum nimmt das schon wahr. Uns geht es darum, Personen sichtbar zu machen und Netzwerke für Personen zu betreuen, die normalerweise bestimmte Positionen nicht erhalten würden. Es geht darum, Strukturen aufzuzeigen und klar zu machen, dass so einfache Dinge wie Ausschreibungen – und zwar ernsthafte Ausschreibungen – zu erfolgen haben. Also eine Ausschreibung einer Leitungsposition in der öffentlichen Hand in Österreich ist im Wesentlichen dadurch geprägt, dass die erste Frage ist: Wer bekommt denn die Position? Und nicht: Welche Qualifikation erfordert die Position? Und  der gelernte Österreicher weiß irgendwie, dass man sich nicht zu bewerben hat, wenn man nicht ohnehin für diese Stelle auserwählt ist. Da heißt es ein Umfeld zu schaffen, in dem das nicht so einfach geht.
 
HM: Wie sehen Sie das – ein Umfeld schaffen. Was sind da erste Schritte?
 
Herbert Greisberger: Also, wenn eine Stelle ausgeschrieben wird, und klar ist, wer die erhält, kann man sagen: Ja, das ist eben so. Oder man sagt: Das ist an sich nicht in Ordnung. Ich kann es zwar nicht ändern, aber ich finde es ist nicht in Ordnung. Und meine persönliche Wertschätzung für Personen, die die Größe haben zu sagen: Ich möchte, dass die beste Person das bekommt, ist höher als für jene, die sagen: Ich verteile Positionen nach meinem Gutdünken an Personen, die mir besonders gewogen sind.
 
HM: Und Sie agieren in einem Umfeld, wo Sie dann mit dieser Meinung nicht alleine dastehen und das Gefühl haben, sie werde geteilt oder könnte sich ausbreiten?
 
Herbert Greisberger: Es sollte sich ausbreiten. Klar, aber dazu braucht es eben so etwas wie Medien. Wir haben das ja erwähnt, dass auch im Forschungsbereich Positionen mit Personen besetzt werden, die nicht die geeignete Qualifikation dafür haben. Solche Personen zum Rücktritt zu zwingen, wäre eigentlich die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit.
 
HM: Hat die ÖGUT auch Projekte mit Medien? Im Sinne einer Weiterentwicklung in diese Richtung?

Herbert Greisberger: Ich hoffe, dass wir uns in diese Richtung entwickeln.
 
HM: Wo sehen Sie das schon?
 
Herbert Greisberger: Im Bereich der Forschungsevaluierung hat es das schon einmal gegeben. Man hat ja die FTI-Plattform gegründet. Da hat es ein paar Personen gegeben, die das ein bisschen vorangetrieben haben, dass es so etwas überhaupt gibt. Das liegt auch schon länger zurück, ist aber immer noch aktiv. Davor hat es das in Österreich wirklich nicht gegeben. Ich habe in einem IEA-Bericht geschrieben, dass es in Österreich keine öffentlich zugängliche Evaluierung gibt. Das Ministerium hat dann erwidert, das sei nicht richtig. Dann habe ich nachgefragt, welche Evaluierungen es denn gäbe. Und es gab tatsächlich keine, die veröffentlicht gewesen wäre. Das gab es nicht. Und das gibt es jetzt auch noch viel zu wenig. Und dort wo ich jetzt Evaluierungen sehe, gibt es oftmals schlicht Missbrauch. Ich habe gesehen, dass ein Ergebnis einer Evaluierung existiert und die Ableitung daraus ist das Gegenteil dessen ist, was in der Evaluierung steht. Nach dem Motto: Wer liest das schon? Aber die Evaluierungskultur wird besser werden, ich bin davon überzeugt.
 
HM: Machen sie sich manchmal unbeliebt?
 
Herbert Greisberger: Ich weiß nicht, ob ich mich so unbeliebt mache. Um frech zu sein, braucht man eine gute Leistung als Hintergrund. Frech sein und eine schlechte Leistung bringen, ist definitiv zu viel. Leistung ist also die Basis. Meine MitarbeiterInnen sind ausgesprochen gut und erbringen eine hervorragende Leistung. Deswegen kann ich ein bisschen frech sein.
 
HM: Und Sie sind mit anderen Organisationen, die in die gleiche Richtung arbeiten, gut vernetzt?
 
Herbert Greisberger: Ja, wir haben ja sehr, sehr unterschiedliche Stakeholdergruppen. Nicht jeder in der Wirtschaft ist besonders begeistert vom Thema Nachhaltigkeit, aber jene, die im Umfeld der ÖGUT sind. Diese Unternehmen muss man ganz massiv stärken. Unser Umfeld zeichnet sich dadurch aus, dass man über die institutionellen Notwendigkeiten hinaus bemüht ist, im Bereich Nachhaltigkeit etwas weiter zu bringen. Das trifft auch auf jene zu, die in den Ministerien arbeiten, sich einbringen und mehr tun als unbedingt verlangt wird. Darum sind jene, die bei uns sichtbar werden auch jene, die etwas mehr Engagement mitbringen. Deswegen haben wir ein sehr positives Umfeld. Das gilt im Übrigen natürlich auch für die Umweltorganisationen.
 
HM: Da höre ich heraus, dass es Ihre Strategie eher ist, Stärken zu stärken als dass sie sich auf irgend-etwas konzentrieren, das fehlt.
 
5. Jeder Mensch arbeitet lieber erfolgreich
 
Herbert Greisberger: Ja, das ist eindeutig so. Auch bei den Inhalten. Es gab Themen, wo es uns nicht gelungen ist, das Thema weiter zu entwickeln. In solchem Fall gehe ich davon aus, dass es uns dort nicht gebraucht hat. Es ist auch nicht notwendig, dass wir jedes Thema, das wir glauben bearbeiten zu müssen, auch bearbeiten. Es ist vernünftiger, wir bearbeiten jene Inhalte, wo wir schon erfolgreich sind, wo wir Personen haben, die das Thema wirklich gerne bearbeiten, und wo es einen Platz gibt, den wir einnehmen können. Wenn man sich bemüht die erfolglosen Themen zwangsweise weiter zu führen, nur deswegen, weil man sich irgendwann gedacht hat, es müsste ein wichtiges Thema sein, kann ich den Sinn darin nicht erkennen.
Zum Beispiel: Das Thema Mobilität wäre für Umwelt und Technik ein sehr naheliegendes Thema. Wir haben aber im Moment keine Person dazu. Also, jemanden der sagt: Das ist mein Thema, da möchte ich mich engagieren. Und wenn Sie niemanden haben, dann könnten Sie jemanden zwangsrekrutieren. Aber das wird nichts werden, weil der oder die keinen Spaß hat, daran zu arbeiten. Umgekehrt gibt es auch Themen, wo eine Person Interesse gezeigt hat und sich eingearbeitet hat, aber den Platz nicht gefunden hat, und das Thema nicht weiterentwickeln konnte. Dann ist es gescheiter er/sie wechselt das Thema. Ich muss nicht CSR-Berichte als Hauptthema haben – ich kann auch im Baubereich arbeiten, wenn es mir mehr Spaß macht.
 
HM: Diesen Raum zu geben, ist ja nicht in jeder Organisation selbstverständlich.
 
Herbert Greisberger: Aber das macht uns erfolgreich. Als Beispiel das Thema Gender in der ÖGUT. Das hat jetzt nicht wahnsinnig viel mit Umwelt und Technologie zu tun - würde man meinen. Aber es hat als Herzensthema angefangen, hat sich als Herzensthema entwickelt und ist sehr groß geworden. Das ist der größte Bereich – wir haben das mit sehr engagierten Personen entwickelt. Mir kommt das sinnvoll vor.
 
HM: Das ist schon eine sehr spezielle Art zu innovieren. Also, den Dingen nach zu gehen, die aus den Herzen der MitarbeiterInnen kommen.
 
Herbert Greisberger: Jeder Mensch arbeitet lieber erfolgreich als weniger erfolgreich. Die Mitarbeiter, die an erfolgreichen Projekten arbeiten, kommen mir motivierter vor. Das ist sozusagen eine Positiv-Spirale. Sich besonders auf Dinge zu konzentrieren, die nicht gelingen, wäre ein bisschen ungewöhnlich.
 
HM: Es gibt manchmal so etwas wie „Über-Ich-Themen“ Im Sinne von: man sollte, man könnte, es wäre für das Image wichtig usw.
 
6. Nachhaltigkeitsberichte sind ein schwieriges Thema
 
Herbert Greisberger: Es gibt in dieser Art schon ein kritisches Thema, das ist CSR und Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeitsberichte sind ein schwieriges Thema. Es gibt sehr viele Unternehmen, die Nachhaltigkeitsberichte machen. Aber oft gibt es nur einen Bericht und keinen zweiten. Den ersten Bericht können Sie grundsätzlich vergessen, weil es keine Historie gibt. Wenn es dann einen zweiten und einen dritten gibt, dann muss es eine Historie geben, und man muss im zweiten und dritten Bericht auch in irgendeiner Weise beantworten, wie die Ziele, die im ersten gestellt wurden, erreicht worden sind. Man muss also Graphiken, die im ersten Bericht zu finden waren, auch weiter ziehen.
Wir haben dieses Thema im Zusammenhang mit freiwilligen Vereinbarungen mit der Wirtschaft und dem Thema CSR aufgegriffen. Aber zumindest in der damaligen Analyse hatte es mit dem, was sich die Europäische Union unter einer Umweltvereinbarung vorstellt, wenig zu tun. In der EU gibt es Ziele, Zeitpläne, Quantifizierungen, insgesamt fünf klare Kriterien, was eine Umweltvereinbarung ist. Wenn Sie das lesen, denken Sie sich: Das ist völlig logisch. Wenn Sie dann die österreichischen Vereinbarungen lesen, dann sehen Sie, dass es gar nicht so klar ist, dass es Ziele gibt und Vereinbarungen darüber, was geschieht, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Es gibt kein Monitoring. So etwas ist bei uns nicht üblich. Damit hat das angefangen. Das Ergebnis war sehr kritisch: Dass nämlich in Österreich - oder sagen wir in einem katholischen Land - eine Umweltvereinbarung relativ wenig Effekt hat. Weil sie nicht gemonitort wird, keine Ziele hat und kein Wenn-nicht-dann erfolgt. In nordischen Ländern, Holland, Dänemark hat es eine wesentlich bessere Wirkung, weil da eben auch klar ist, dass die öffentliche Hand eine Zwangsmaßnahme setzt, wenn man es nicht aus eigenem schafft, ein bestimmtes Ziel zu erreichen,.
Deshalb achten wir darauf, dass die Qualität von Nachhaltigkeits- oder Umweltberichten sich dahingehend verbessert, dass es eine Historie gibt, eine Nachvollziehbarkeit. Das ist uns bis jetzt nicht ganz gelungen, aber dennoch ist ein Effekt eingetreten. Die Berichte sind jetzt besser, es gibt zweite und dritte Berichte, es gibt eine Normierung, und es wird klarer, dass man nicht nur die Randbereiche, sondern auch die Kernbereiche eines Unternehmens thematisiert. Viele dieser Unternehmen sind ja international agierende Unternehmen und tun das auch, weil es so etwas wie Ratings gibt.
 
HM: Und da sind diese Unternehmen dann gezwungen, sich wirklich auf ihre Kernbereiche zu beziehen?
 
Herbert Greisberger: Genau, den Kernbereich sieht sich jemand genau an. Dies sind dann diese eher protestantischen Aktivitäten, eine Evaluierung auch wirklich genau zu nehmen.
 
HM: Wie kam es, dass Sie diese Namen für unterschiedliche Kulturen – eben dieses Katholische und das Protestantische gefunden haben?
 
7. Das sind eben die kulturellen Unterschiede
 
Herbert Greisberger: Das kam aus einer Sitzung zum Thema Evaluierung von Energieforschung in der internationalen Energieagentur. Und an diesem Tisch saßen 24 Länder und jeder hat berichtet, wie in seinem Land die Evaluierungskultur ist, und ob es Evaluierungen der Energieforschung gibt. Und eine Kollegin war die letzte an der Reihe und hat gesagt: „Ich komme auch aus einem katholischen Land, und wir haben auch keine Evaluierung.“
Und dann haben alle geschaut, und gesehen, dass dies der wesentliche Unterschied war – katholische und protestantische Kulturen. Und es war am Tisch sofort jedem klar, warum Länder, die vordergründig einander so ähnlich sind wie Österreich und Schweden, sich in diesem Punkt so wesentlich unterscheiden. Und das liegt jetzt etwas mehr als 10 Jahre zurück.
 
HM: Ja, ich denke das kann viel zur kulturellen Selbsterkenntnis beitragen, wenn man Unterschiede beschreiben kann.
 
Herbert Greisberger: Mit Faszination habe ich einmal die Nachhaltigkeitsindikatoren Österreichs gesehen. Diese Nachhaltigkeitsindikatoren wurden im Wesentlichen nach zwei Grundsätzen entwickelt. Erstens: Was gibt es? Und zweitens: Zeige ein positives Bild. Das war in anderen Ländern anders. Mein Lieblingsbeispiel war damals Großbritannien – es gab regional differenzierte Indikatoren, die Negatives ausweisen durften. Ein Indikator, der gezeigt hätte, dass Österreich sich nicht in eine nachhaltige Richtung entwickelt, wäre wohl als völlig unbrauchbarer Indikator von der Liste gestrichen worden. Da wählte man lieber einen Indikator, der sich positiv entwickelte. Das sind eben die kulturellen Unterschiede.
 
HM: Es gibt den Unterschied zwischen dem Wahrnehmen-was-ist und der Wahrnehmung, in der ein Wunschgedanke schon drinnen ist.
 
Herbert Greisberger: Ja, das auch. Ich nenne das: Das Argument erkennen und nicht die Person. Es gibt in Österreich die Unsitte, nicht zu schauen: Ist das hilfreich oder nicht, richtig oder falsch? sondern zu fragen: WER sagt das? Und das kann für ein Argument nicht das Entscheidende sein. Aber in Österreich ist man schnell dabei zu sagen: Das kommt ja von DEM! Und deswegen ist es per Definition falsch. So passiert eine öffentliche Diskussion in Österreich, und das ist keine qualitativ hochstehende Diskussion.
 
HM: Man könnte sich daran frustrieren.
 
Herbert Greisberger: Könnte man, ja! Und gibt es wesentliche Unterschiede. Sie werden ja auch hin und wieder fernsehen. Es gibt österreichische Diskussionen und deutsche Diskussionen zu politischen Themen. Und sie müssten gar nicht wissen, auf welchem Sender das läuft, denn sie wissen sofort, ob es eine österreichische Diskussion ist oder eine deutsche. Einfach von der Unsitte, sich ins Wort zu fallen, oder irgendetwas zu sagen, was nicht zum Thema gehört, oder von der Unwilligkeit, auf das Argument des anderen einzugehen. Das ist so ein Unterschied, der wirklich eklatant ist. Und da braucht es Zivilcourage, Personen einfach nicht mehr einzuladen. Man muss nicht jeden einladen.
 
HM: Manchmal habe ich den Verdacht, dass die Österreicher das gern haben, wenn es möglichst wild zu geht. Das Wichtige ist dann nicht die Sachebene, sondern Emotionen zu sehen.
 
Herbert Greisberger: Ja, weil die jeder versteht. Auch Journalisten verstehen das. A geht gegen B ist für jeden verständlich, und man kann es als große Schlagzeile bringen. A behauptet X und B behauptet Y erfordert einen gewissen Sachverstand, und der ist dann zu viel verlangt.
 
HM: Das sind schon starke Annahmen der Medien, dass es die Leute nicht anders wollen.

Herbert Greisberger: Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Und wenn mich das nicht täuscht, ist die Begeisterung der Österreicher für derartige Diskussionssendungen enden wollend. Das könnte auch damit zusammen hängen, dass es zum Teil unerträglich ist, was da so geliefert wird.
Also in der ÖGUT pflege ich zu sagen: Sie dürfen alles behaupten, aber nur ein Mal. Beim zweiten Mal müssen Sie es beweisen. Aber ein Mal darf man etwas behaupten – diese Chance hat man immer.
 
HM: Und wie werden Sie es schaffen, diese Zukunftsdialoge auf jenem Niveau zu halten, das sie für sinnvoll halten?
 
8. Es geht uns darum, dass etwas Intelligentes herauskommt
 
Herbert Greisberger: Durch Personenauswahl. Wir laden jene ein, mit denen wir das gerne diskutieren. Es geht uns darum, dass etwas Intelligentes herauskommt. Es geht um Qualität, und ich gehe davon aus, dass die Qualität auch überzeugt. Personen, die es nicht verstehen, sich dem Argument des anderen zumindest einmal zu widmen, müssen wir nicht einladen.
Meine erste Erfahrung mit dem Zukunftsdialog war einfach eine enorm hohe Qualität und Wertschätzung zwischen Umweltorganisationen und Vertretern der Wirtschaft. Der Dialog war von einer persönlichen Wertschätzung getragen, weil man sich gegenseitig für intelligent hielt. Und das ist wichtig bei einem Dialog, dass man auch sagen kann: Ich verstehe und ich muss mich oder eine Sache nicht automatisch verteidigen. Ich höre zu, was der andere sagt, und kann dann meine Gedanken dazu formulieren.
 
HM: Und kommen Sie so zu neuen Lösungen?
 
Herbert Greisberger: Nur so! Also das gegenseitige auf den Kopf hauen wird nicht allzu viel Lösungspotential haben.
 
HM: Gibt es Ansätze, von denen Sie schon erzählen können? Oder Hoffnungen, in welche Richtung Entwicklung stattfinden wird?
 
Herbert Greisberger: Aus diesem Prozess noch nicht. Das wäre noch zu früh.
Aber wir haben zwei Dinge erreicht. Es gab große Homogenität bezüglich der wichtigen Themen. Wir halten die Verteilungsfrage, die Ressourcenverknappung, die Integration von Zuwanderern und der Lebensstil für wichtig. Das zweite war, eine Gruppe zu schaffen, wo man einander so wertschätzt, dass man konfliktäre Themen auch diskutieren kann.
 
9. Ich liebe Menschen, die in der Lage sind, ihr eigenes Tun zu reflektieren
 
Aber, wenn ich jetzt noch einmal zurück gehe zum Thema innovieren. Ich liebe Menschen, die in der Lage sind, ihr eigenes Tun zu reflektieren, und zu sehen, dass nicht alle Dinge, die man probiert, auch gelingen. Es ist nicht abwertend einer Person gegenüber, und es heißt auch nicht, die Person ist ein völliger Versager, wenn etwas nicht gelingt. Es bedeutet nur, man ist reflektiert genug zu sagen: Es gibt Dinge, die mir gelingen, und es gibt Dinge, die mir nicht gelingen. Und in der ÖGUT haben wir deshalb relativ viele Innovationen gehabt, weil wir eine Kultur des Reflektierens entwickelt haben. Anfangs haben viele nicht verstanden – auch mein Präsident nicht –, dass es bei jeder Generalversammlung eine Folie für die Tops - die 5 gut gelungenen Dinge - und eine Folie für die Flops - die 5 Dinge, die wir in diesem Jahr schlecht gemacht haben - gab. Es war völlig außerhalb der Kultur, das so zu machen. Der Präsident hat gesagt, dass er das noch nie erlebt hatte. Normalerweise betet man immer runter, wie wunderbar und gut man ist. Aber es wäre doch irgendwie seltsam, wenn einem alles gelingt, was man sich vornimmt.
 
HM: Eine derartige ehrliche Reflexion kann eine Grundlage für Entscheidungen sein. Es wird dann allen klarer, warum man etwas beibehält, über Bord wirft oder neu erfindet.
 
Herbert Greisberger: Ja, oder wie man sich anders organisiert, um etwas besser zu machen. Es ist ja nicht das Bestreben, im nächsten Jahr noch mehr Fehler zu machen. Das Bestreben ist ja, dass wir daraus lernen, und Dinge anders machen. Eine Rüge würde ich dann verdienen, wenn wir daraus nichts gelernt haben.
 
HM: Wie kommen Sie oder ihre Mitarbeiter zu neuen Ideen?
 
10. An Ideen gibt es eigentlich keinen Mangel
 
Herbert Greisberger: Also an Ideen gibt es eigentlich keinen Mangel. Es geht vielmehr darum, wie man eine Idee in einen Auftrag verwandelt.
 
HM: Welche Art von Ideen lassen sich leichter in einen Auftrag verwandeln?
 
Herbert Greisberger: Das ist themenabhängig. Eine Idee ist es dann, wenn man sie auf zwei Seiten formuliert hat – nicht wenn man den Gedanken nur so ausgesprochen hat.
 
HM: Was heißt auf zwei Seiten?
 
Herbert Greisberger: Die eine Seite beschreibt, was die Idee ist und wozu sie gut sein soll, und die andere Seite beschreibt, wie man sie realisieren würde. Da hat zum Beispiel jemand den Film „Plastic Planet“ gesehen und gefunden, dass man für Jugendliche einen Film zum Thema Abfallvermeidung machen sollte. Derjenige hat das dann formuliert, und wir haben es bei der Stadt Wien eingereicht. Das hat gute Chancen, etwas zu werden. Das wären die zwei Seiten einer Idee.
Es gibt auch Dinge, die zwar formuliert sind, aber wo wir uns dann gegen eine Weiterführung entscheiden. Auch das gibt es. Ich bin wahrscheinlich wirklich ein optimistischer Mensch, denn ich gehe davon aus, dass sich die Finanzierung für eine gute Idee meistens findet.
 
HM: Wie läuft der Prozess, wo eine Idee eines einzelnen zu einer Idee wird, an der man weiterarbeitet?
 
Herbert Greisberger: Wir arbeiten in Kompetenz-Teams. Da wird zunächst vorgefühlt, ob eine Idee wirklich gut ist. Ich bin auch in diesen Kompetenz-Teams; das heißt, die Idee kommt auch zu mir. Die Entscheidung, ob eine Idee besser oder schlechter ist, liegt zu einem großen Teil bei mir. Aber nicht nur.
 
HM: Was sind Kriterien für ihre Entscheidung?
 
Herbert Greisberger: Die Kriterien sind: Wie überzeugt ist die Person selbst? Trägt die Idee irgendetwas zur Weltrettung bei, oder nicht? Gibt es jemanden, der ein strukturelles Interesse hat, das zu finanzieren?
Das sind wahrscheinlich die drei Punkte. Eine Idee, wo man sagt, man ist bereit, die zu formulieren, aber weiter mag man nicht daran arbeiten – also das sind diese Man-sollte-Themen.
Man sollte das Thema Mobilität in der ÖGUT machen. Ja, das ist schon richtig. Aber wenn es niemanden gibt, der das Man-sollte zu einem Ich-mache-das umwandelt, dann wird das Thema nichts werden.
 
HM: Es braucht also das Engagement, das Commitment und die Ressourcen einer bestimmten Person. Dass jemand eine Idee hat, die jemand anders dann aufgreifen soll, das funktioniert nicht.
 
Herbert Greisberger: Das funktioniert nur in ganz groben Ausnahmefällen. Meist entwickelt man schon seine eigenen Ideen weiter. Es gibt auch Ideen, die von mir kommen, aber wenn es dann niemanden gibt, der das aufgreift, dann wird das nichts werden und wird auch nicht weiter verfolgt. Also ich reiche keine Projekte ein, wo man nicht weiß, wer das dann machen wird.
 
HM: Ja, da sehe ich schon einen Unterschied zu traditionellen Unternehmen, wo von der Führung her Dinge eingebracht werden und nicht darauf geachtet wird, ob jemand das auch aufgreifen will.
 
Herbert Greisberger: Ja, da brauchen sie auch andere Steuerungsmechanismen. Wir leben ja schon davon, dass Personen engagiert arbeiten. Bei uns kann man immer arbeiten –am Samstag, am Sonntag oder am Wochentag – das ist mir gleichgültig. Man trägt auch die Zeit selbst ein. Da muss man schon auch ein gewisses Vertrauen haben. Ich sehe unsere Kultur sehr positiv, und den Menschen dürfte sie auch entsprechen.
 
HM: War die Kultur schon so, als Sie in die ÖGUT gekommen sind?
 
Herbert Greisberger: Das hat sich mit mir entwickelt. Das muss man, glaube ich, so sagen. Als ich gekommen bin, waren wir zu dritt. Jetzt sind wir dreißig. Von daher hat es sich mit entwickelt.
 
HM: Und welche sind die wesentlichen Qualitäten, die Sie mitgebracht haben, damit sich die ÖGUT so entwickeln konnte?
 
Herbert Greisberger: Ich vertraue Menschen, und ich habe ein gutes Gespür für gute MitarbeiterInnen. Meine MitarbeiterInnen sind wirklich gut. Das hat auch ein bisschen mit den Freiheiten zu tun, die sie haben und mit den Motivationen. Wir haben noch kaum Auftraggeber verloren, weil alle ihre Projekte engagiert betreiben. Und das tun sie, weil sie sich das Projekt selbst zusammenstellen und nicht einfach etwas auf den Tisch bekommen mit dem Hinweis, das wäre jetzt zu bearbeiten. Das schafft Vertrauen.
Das führt auch dazu, dass es keinen Willen zu weiterem Wachstum gibt. Da ist Größe hinderlich. Wenn nicht mehr alle einander sehen, dann kann das ein bisschen schwieriger werden.
 
HM: So ist das mit 30 Personen jetzt die Grenze?
 
Herbert Greisberger: Das ist eindeutig die Grenze. Wenn wir nicht sogar schon ein bisschen zu viele sind. Aber es hängt auch damit zusammen, dass uns die Kinderwelle erfasst hat. Im Moment haben wir sechs Personen, die in Karenz sind; aber das auch nicht wirklich. Also wir sind zurzeit extrem flexibel. Das liegt auch an dem hohen Frauenanteil. Akademikerinnen zwischen 30 und 40, das sind so die klassischen ÖGUT-Mitarbeiterinnen.
 
HM: Aber das ist eine interessante Feststellung, dass Sie da gar nicht dafür sind, dass sie wachsen. Würde das nicht den Einfluss der ÖGUT vergrößern?
 
11. Wir sind überzeugt, dass auch andere gute Arbeit machen
 
Herbert Greisberger: Nein. Das wird kontraproduktiv. Sie könnten sagen, wir wollen 50 oder 60 werden. Aber dann muss Ihnen bewusst sein, dass sie das nicht mit den gleichen Personen machen werden. Dann wäre die Struktur sicher hierarchischer und dann wüsste das Leitungsteam – wir sind zu dritt im Leitungsteam – nicht mehr, was die einzelnen machen. Dann gäbe es eine Zwischenebene, und dann haben Sie eine andere Organisation. Ich sage nicht, dass sie schlechter wäre, aber es wäre eine andere Organisation, die, wie ich glaube, den Bedürfnissen anderer Personen entspräche. Personen, die sich selbst gern in einem Freiraum entwickeln, die fühlen sich bei uns wohl. Wenn wir einen starken Kulturwechsel hätten, dann gäbe es auch ein Problem mit den MitarbeiterInnen.
 
HM: Würden Sie sich noch mehr Mitglieder wünschen?
 
Herbert Greisberger:. Mehr Mitglieder schon – an dem arbeiten wir auch. Das macht Sinn. Mehr MitarbeiterInnen würden, glaube ich, nicht viel Sinn machen. Wir haben begrenztes Potential und wir lagern relativ viel an andere Institutionen aus. Ein Drittel des Budgets geht an andere. Und das hat den Vorteil, dass man mehr Freunde hat – ganz pragmatisch. Wir sind überzeugt, dass auch andere gute Arbeit machen. Wenn man diese Ansicht hat, tut man sich leichter zu kooperieren. Es ist dann sinnvoll zu kooperieren, wenn andere bessere Zugänge haben. Nur muss man das anerkennen. Wenn man aber der Meinung ist, dass man nur selbst alles kann, und alle anderen nichts, dann ist die Kommunikation und Kooperation schwierig.
 
HM: Ich habe insgesamt den Eindruck, dass sie ein sehr sympathisches Unternehmen sind, das eine wichtige Rolle hat. Deshalb hat mich auch interessiert, was ihnen für die Zukunft bedeutsam erscheint. Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche ihnen weiterhin viel Erfolg!
 
 
12. Biografisches
Dr. Herbert Greisberger (geb. 1964), Volkswirt, ist seit dem Jahr 2000 Generalsekretär von ÖGUT. Davor war er in leitender Funktion für die Energieverwertungsagentur (E.V.A.) in Wien tätig. Erste berufliche Erfahrungen sammelte Greisberger im Rahmen seines Doktoratsstudiums an der Universität Stuttgart sowie beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Als Generalsekretär führt Greisberger die Geschäfte der ÖGUT. Er ist außerdem als Projektleiter und Vortragender, insbesondere in den Themen Energie und Bauen tätig und arbeitet in nationalen und internationalen Arbeitsgruppen und Gremien mit.
 


* Dieses Gespräch Teil des Forschungsprojektes „In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen“. In diesem Forschungsprojekt werden Personen interviewt, die eine maßgebliche Führungsfunktion in einer Organisation innehaben. Ziel dieser Gespräche ist, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was derzeit als unternehmerisch relevant erlebt wird, und welche grundlegend neuen Fragen sich dabei herauskristallisieren. Dieses Forschungsprojekt entstand im Rahmen von metalogikon. Die Interviews und die zusammengefassten Erkenntnisse daraus sind abrufbar unter www.metalogikon.com