Hypothesen zu 'The Knowing-Doing Gap'
Rudy Attems
In dem Maß in dem Märkte de-reguliert werden, werden Unternehmen in zunehmenden Maß reguliert. Die Einführung vorgegebener Methoden und Systeme nimmt zu. Wenngleich eine Systematisierung für manche Abläufe durchaus sinnvoll sein kann, ist ein Zuviel an diesen „Hilfsmitteln“ immer hinderlicher für unternehmerische Haltungen und selbständiges Denken. Die Besten Köpfe bleiben in einem solchen Unternehmen nicht lange – die Enge ist zu drückend. Überdies verlieren Menschen, die ihre Handlungsschritte immer mehr in vorgegebene Schemata einfügen müssen den Kontakt zur Realität. Innovations- und Risikobereitschaft werden damit in den Hintergrund gedrängt und erscheinen nicht (mehr) wünschenswert.
Die Frage ist, wie und wie lange streng regulierte Unternehmen auf immer dynamischer werdenden de-regulierten Märkten bestehen können?

Auf der individuellen Ebene ist der Wunsch nach Sicherheit und nach Nicht-Scheitern vermutlich heute stärker ausgeprägt als in früheren Generationen. Wissen vermittelt Sicherheit und mit Wissen, das nicht an der Realität geprüft wird, kann man auch nicht scheitern. Tun hingegen ist inhärent mit Unsicherheit, mit Risiko und mit der Möglichkeit des Scheiterns behaftet. Sich im Moorbad des Gewussten zu suhlen ist allemal angenehmer als im Erproben des eigenen Wissens glorreich zu scheitern. Früher hießen solche Menschen „Kaffeehauskommunisten“.
Auf der kollektiven Ebene wiederum haben wir eine Welt von Regeln, von Verordnungen, von Organisationshandbüchern, von Gesetzen, von Managementsystemen, von Routinen geschaffen, die wir nicht mehr durchblicken. Wir wissen zwar, was wir tun sollten oder könnten, aber nicht, welche Regeln wir auf welche Art und Weise abschaffen müssen, damit wir gemeinsam das tun können, was wir tun wollen. So sind wir im Regelsumpf gelandet und mit jeder Bewegung in die Richtung, von der wir wissen, dass wir gehen wollen, sinken wir tiefer im Morast der Regeln ein. Schlimmer noch, wir versuchen den Regelsumpf auszutrocknen und damit begehbar zu machen, indem wir weitere Regeln hinzufügen. Das ist so, wie wenn man sich im Regenwald dadurch einen Weg bahnt, indem man weitere Pflanzen setzt und wartet, bis sie größer werden.

Josef Weber
Unser perfektionistisches Denken in Zielen und die damit verbundenen Zielverfolgungskonzepte führen zu immer wiederkehrenden Versagens-Erlebnissen. Expertenorientierte Interventionen (häufig in Weiterbildung, Coaching und Changeprogrammen zu finden) verstärken diese Insuffizienzgefühle.
Das damit verbundene Fehlen von Kraft, Kompetenzerleben, Neugierde und Motivation führt zu Ratlosigkeit, Zweifel und Resignation und den damit verbundenen Ausbleiben von Entscheidungen und Handlungen.

Katharina Kronsteiner
Was hindert uns daran, zu handeln oder zu verändern?
Vielfach sind die Hindernisse in uns selbst zu finden. Wir selbst als Individuen und Mitglieder von Organisationen sind dafür verantwortlich, dass wir nicht handeln, obwohl wir Handlungsbedarf erkennen. Dabei lassen sich vier interessante Konstanten beobachten.
Das Leugnen der Zukunft: Das Neue zeichnet sich ab, Veränderungen sind im Umfeld zu beobachten, aber man selbst bewegt sich (noch) nicht. Es ist das ‚Nicht-hinschauen-Wollen‘ und ‚Nicht-sehen-Wollen‘, es ist das am Alten und an Gewohnheiten festhalten.
Die scheinbare Sicherheit des eigenen Erfolgs und konservatives Beharren: Man selbst meint, sein eigenes Geschäft am besten zu kennen. Und solange man auch Erfolg hat, (die Waren finden Abnehmer und die Dienstleistungen werden gebraucht) finden wir wenig Anlässe, unser Geschäft zu hinterfragen. Andere Meinungen haben wenig Platz. Nicht zu selten macht uns so Erfolg blind dafür, Neues zu erkennen.
Höflichkeit – Gesicht wahren und Reibungsenergie vermeiden: Eine andere Meinung zu vertreten, braucht Mut. Nicht selten werden wichtige Argumente in Management-Meetings fallen gelassen oder nicht vorgelegt, weil man einerseits sich nicht selbst eine Blöße geben will oder nicht den/die eigene Vorgesetzten bzw. Kollegen/innen bloß stellen will. Doch ein gesunder Level an Meinungs-Vielfalt ist notwendig, und höfliches Verhalten sollte nicht mit falschem Harmoniestreben verwechselt werden.
Generell streben wir Menschen nach Kongruenz (nach einer Einheit im Denken und Handeln). Ist diese nicht da, dann bemühen wir uns, diese herzustellen. So entwickeln wir interessante Mechanismen, die unsere Ahnungen und unsere Erkenntnisse wieder verschwinden lassen. Insofern kann sich das ‘knowing’ erst gar nicht richtig entwickeln um zum ‘doing’ zu führen...
*) Beharrungsmechanismen in Anlehnung an James A. Champy.  

Heinold Lindenthal
„Was du nicht messen kannst, kannst du nicht managen!“ – das ist ein traditioneller Management-Lehrsatz. In vielen Organisationen glauben wir, dass wir die Unsicherheit  der zukünftigen Entwicklung durch immer ausgeklügeltere Mess- und Kennzahlensysteme besser in den Griff bekommen zu können. Je unsicherer und schwieriger die Umfeldbedingungen werden, desto detaillierteres Zahlenmaterial wird vom Management verlangt. Ist es nicht verlockend, dass uns – wie in einem Flugzeug – Cockpit – all die entsprechend  aufbereiteten Zahlen die richtigen Entscheidungen abnehmen? Als ob die Organisation eine Maschine wäre, die durch Drücken der richtigen Tasten zu steuern wäre.
Dabei verhindert diese Zahlenflut das Nachdenken darüber, was wirklich wichtig ist, welche Bedeutung hinter den Zahlen steht und behindert die Gesamtsicht; wir kommen vor  lauter Analysieren zu keinem wirksamen Handeln. Beim einzelnen Mitarbeiter löst das entweder eine Ohnmacht aus – die Datenflut ist nicht mehr durchschaubar und daher auch für mich nicht handlungsrelevant, oder die Konzentration darauf, die eigenen Handlungen - ohne nachzudenken - ausschließlich auf die „Befriedigung“ der Kennzahlen auszurichten.

Rainer Krismer
Die gesellschaftlichen und politischen Prozesse verstärken die individuellen psychologischen Beharrungsmechanismen. Ängste und Beharrungsmechanismen bremsen das Handeln auf der individuellen Ebene. Diese „Handlungs-Hemmnisse“ werden im kollektiven Prozess ergänzt und verstärkt:
Auf der politischen Ebene entstehen zusätzliche Ängste, z.B. jene, nicht wieder gewählt zu werden. Mit Nicht-Handeln fühlt sich der Politiker auf der sicheren Seite.
Im politischen Wettbewerb treten die Akteure immer wieder gegen Maßnahmen auf, obwohl sie inhaltlich dafür sind. Denn die Opposition darf der Regierung keinen Erfolg liefern – mit dem Ergebnis, dass Beschlüsse und Schritte nicht zustande kommen.
Drittes Handlungs-Hemmnis im politischen Prozess: Der Ist-stand wird gut- und schön-geredet – und damit wird das Gefühl erzeugt, dass wir keine Veränderung brauchen.

Hemmnisse im Wissenschaftsbetrieb: Heute fällt es leicht, eine Studie zu finden, die ihren Fokus auf besondere Details legt - und damit Argumente zu begründen, die das Doing be- oder verhindern. Damit wird das Leugnen der Probleme und Missachten der Chancen erleichtert ("vielleicht wird es ja doch nicht so kommen"). Oder die rechtschaffenen Wissenschafter mühen sich, sauber und korrekt die rasch dahingesagten Behauptungen von Lobbyisten und Partikularinteressen zu widerlegen (siehe beispielsweise http://www.zeit.de/2012/48/Klimawandel-Marc-Morano-Lobby-Klimaskeptiker) - und hinken damit zeitlich den Lobbyisten immer hinterher.