Forschungsprojekt "In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen"

Mit Leadership verbinde ich, dass ich mir der Verantwortung bewusst und „greifbar“ bin

Dialogisches Interview mit Mag. Klaus Pollhammer
Mitglied des Vorstandes der Merkur Warenhandels AG
22. Oktober 2010
Das dialogische Interview führte Josef M. Weber *
 
Josef M. Weber: Herr Pollhammer, Sie verfügen über viele Jahre Führungserfahrung in unterschiedlichen Unternehmen. Wie beschreiben Sie, was sich verändert, was in Bewegung geraten ist? Oder verändert sich gar nichts?
 
1. Erfolg entsteht nur über die Mitarbeiter
 
Klaus Pollhammer: Es gibt deutliche Veränderungen. In unserer Branche und in der Dienstleistungsbranche generell, setzt sich die Erkenntnis durch, wie sehr der Erfolg auf die Mitarbeiter ankommt, wie wesentlich sie diesen mittragen. Diese Erkenntnis macht sich immer mehr breit. Dass danach gehandelt wird, das ist aus meiner Sicht noch nicht so deutlich zu beobachten. Aber das ist doch eine wesentliche Änderung die ich wahrnehme, auch in unserem Unternehmen.
 
JMW: Wodurch wird das angetrieben? Macht man das, weil es „modern“ ist?
 
Klaus Pollhammer: Auch, weil es modern ist. Das darf man nicht unterschätzen! Aber auch aus strategischen Überlegungen. Ein Beispiel: Im Handel hat in den letzten Jahren der Diskont stark zu genommen. Wie kann man dagegen ankommen? Welche Mittel stehen mir zur Verfügung? Im Großen und Ganzen haben alle Handelsunternehmen die gleichen Produkte und das Ladenlayout ist schnell kopiert. Wodurch kann man dann noch einen für den Kunden spürbaren Unterschied schaffen?
 
Die Antwort ist: es geht nur über die Mitarbeiter. Das leuchtet jedem ein und alle plappern das auch nach. Liest man Interviews mit Leuten aus dem Handel geht es immer um Frische, um Einkaufserlebnis und um das Gefühl, gut bedient zu werden. Und damit ist man bei den Mitarbeitern.
 
Umsetzung und Wege dorthin sind allerdings sehr unterschiedlich. Wir sind ein diversifizierter Betrieb und auch regional unterschiedlich. Da gibt es fortschrittliche Regionen, die dafür wirklich und glaubwürdig einstehen. Und in anderen Regionen reden Führungskräfte davon, weil sie wissen, dass man das so sehen und hören will. Dort bleibt das dann an der Oberfläche. Kratzt man dann an dieser Oberfläche, dann kommen noch die alten Bahnen, in denen gefahren wird, zum Vorschein.
 
Das Ganze geht mit einem Generationenwechsel bis hinauf in die oberste Führungsriege einher. Bei uns im Konzern wird das von ganz oben eingefordert. Und das halte ich für sehr wichtig: wird das von oben glaubhaft eingefordert, dann passiert auch die Umsetzung leichter.
 
JMW: Was ist es, was da konkret eingefordert wird?
 
Klaus Pollhammer: Zum Beispiel eine gewisse Wertschätzung im Umgang mit den Mitarbeitern, Empathie und Verständnis für die Sichtweise des anderen.
 
JMW: … um ein sozialeres, angenehmeres Gefühl im Unternehmen herzustellen?
 
Klaus Pollhammer: Ja, wenn das möglich ist, dann ist das in Ordnung. Gleichzeitig werden auch immer Ergebnisse gefordert, darüber darf man sich nicht hinwegtäuschen. Der Handel ist nach wie vor keine Branche, in der es gemütlich zugeht. Davon kann keine Rede sein. Und trotzdem müssen wir in einer gewissen Art und Weise miteinander umgehen. 
 
JMW: Tut sich da ein Widerspruch auf? Auf der einen Seite braucht es zunehmend die Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters: Kundenorientierung, gutes Service, Beratung. Auf der anderen Seite geht es um die Erreichung von Umsatzzielen. Dann steht Quantität vor Qualität.
 
2. Freiräume lassen den Sinn des Tuns erkennen
 
Klaus Pollhammer: Ja, das kann man so sehen. Wir alle sind sehr ergebnisorientiert. Befriedigend wird es, wenn man die Ergebnisse, die gefordert werden, erreicht und erkennt, welchen Beitrag man selber dazu geleistet hat.
 
Das Wichtige in Zukunft wird sein, Freiräume zu schaffen, Mitarbeiter mitgestalten zu lassen, so dass sie einen Sinn in dem, was sie tun, erkennen. Mitarbeiter sollten  sich nicht als reine Erfüllungsgehilfen erleben, die das ausführen, was andere sich ausgedacht haben.
 
Die Ergebnisorientierung darf deswegen nicht verloren gehen, denn wir sind ein Unternehmen. Auch bei jeglicher Nachhaltigkeitsdiskussion steht das immer im Vordergrund. Uns damit zufrieden zu geben, dass wir gute Menschen sind und unsere Mitarbeiter bei uns glücklich werden, reicht nicht.
 
JMW: Neben dieser zunehmende Bedeutung des einzelnen Mitarbeiters - was verändert sich zurzeit noch?
 
3. Bewusst für Entschleunigung sorgen
 
Klaus Pollhammer: Die technologischen Möglichkeiten der raschen Informationseinholung und Weitergabe, verbunden mit einer unreflektierten Übernahme von Sichtweisen einzelner Meinungsbildner. Singuläre Probleme werden in Angriff genommen – ohne dass sie im Gesamten eine Relevanz haben.
 
Diese beschleunigte Kommunikation via Emails und Mobiltelefone ist auch ein Nachteil im heutigen Management. Die Möglichkeiten, die sie bieten werden mitunter missbräuchlich eingesetzt. Oder man lässt sich damit auch missbrauchen.
 
So werden mitunter Feststellungen hinaus gejagt und die Leute springen auf den Zug auf. Zurück kommen dann irgendwelche Rechtfertigungen, die dann wieder zurückgewiesen werden. Mit jedem Hin-und-Her wird der Empfängerkreis größer.  Eskaliert das, dringt das auch zu uns Vorständen durch: ein ewig langer Verkehr von wechselseitigen Fehlerzuweisungen ist dann zu lesen. Das ist einfach traurig.
 
Niemand tritt mehr direkt mit dem anderen in Kontakt. Diese Beschleunigung ist nicht gesund. Ich glaube es ist gut, wenn bewusst für Entschleunigung gesorgt wird. Ich persönlich beantworte nicht mehr jede Email unmittelbar nachdem ich sie bekommen habe, sondern lasse bewusst einen Tag verstreichen.
 
Ähnliches geschieht durch das Mobiltelefon. Ich beobachte das bei uns in der Organisation: Niemand traut sich das Telefon wirklich abzudrehen. Es liegt, vielleicht auf lautlos geschaltet, neben einem. Wenn jemand anruft, den man für wichtig hält, wird auch in Besprechungen abgehoben.
 
JMW: Und wo liegt dabei der Vorteil?
 
Klaus Pollhammer: Mitunter geht vieles schneller und Ideen entstehen, die am reinen Dienstweg nicht entstanden wären. Doch damit geht auch die Gefahr einher, dass einzelne ausgegrenzt werden oder Verantwortliche in Aufgaben und Entscheidungen nicht mehr eingebunden werden. Übergeordnete Hierarchieebenen werden zur „Absicherung“ eingebunden, Verantwortliche mitunter übersprungen. Da muss derjenige wieder selbst für sich sorgen. Es gleicht einem Kampf, den jeder selber führen muss.
 
JMW: Damit kommt Überschaubarkeit abhanden, die Komplexität steigt.
 
4. Vernetzung braucht Verbindlichkeit
 
Klaus Pollhammer: Ja, das glaube ich. Doppelgleisigkeiten nehmen zu; das wahrscheinlich mehr, als je zuvor. Mitunter wird das Rad dann halt dreimal erfunden. Die Vernetzung zur Weitergabe relevanter Informationen - dafür könnten diese Medien auch helfen. Doch im Grunde bin ich enttäuscht.
 
Unsere „Share-Points“ (Anm.: virtuelle Kommunikationsplattformen) zum Beispiel ermöglichen ein Anlegen von Projekten – schnell und einfach. Jedes Projekt für alle zugänglich zu machen, lässt die Information zu einer Holschuld werden. Das funktioniert nicht! Wenn ich mich auf allen „Share-Points“, zu denen ich Zugriff erhalten habe, laufend informiere, dann würde ich den ganzen Tag nur vor dem PC sitzen. Klare Zusammenfassungen, Ergebnisberichte von Diskussionen, getroffene Entschlüsse, wer hat wofür die Verantwortung übernommen, bis wann ist was erledigt, fehlen. Was fehlt ist, Verbindlichkeit.
 
Arbeiten werden mit Herzblut und Aufwand entwickelt. Stolz drauf wird dann eine Fülle an Daten und Inputs am „Share-Point“ abgelegt. Als unbedarfter ist man damit konfrontiert und kann wenig damit anfangen. Ergebnisse, geschweige denn eine Dokumentation über den Fortschritt bekommt man nicht.
 
Die Kunst und Notwendigkeit wird sein, da wieder auf den Boden zu kommen und das auch einzufordern.
 
JMW: Facebook oder Twitter zeigen auf, was noch kommen wird.
 
Klaus Pollhammer: Ja, aber wo liegt da der Nutzen für das Unternehmen? Facebook erlebe ich zum Beispiel als Gipfel an Belanglosigkeiten. Der Kaffee heute Morgen war schon kalt, wie gut wer geschlafen hat, ist da zu lesen. Das ist kein Networking mehr. Von Menschen ein Lebenszeichen zu bekommen, kann ganz nett sein. Oder Xing. Durch meine Managementfunktion in einem großen Unternehmen, bin ich dann sofort Opfer vieler Berater. Täglich will mir jemand etwas verkaufen, weil sie sich denken, zu so einem komme ich sonst nie! Ich antworte nicht darauf. Daher glaube ich nicht, dass daraus sonderlich viel entsteht. Auch das ist nicht Networking.
 
Ich bin ein Verfechter von persönlichen Kontakten. Diese zu pflegen, auch zu einem Zeitpunkt, wo ich nichts brauche, das halte ich für wichtig.
 
JMW: Wenn Mitarbeiter selbst ein hohes Interesse haben, dass das Unternehmen erfolgreich ist, und davon könnte man ausgehen – dann stellt sich die Frage: wie kann man dieses Potenzial, trotz aller Risiken, auch nützen?
 
Klaus Pollhammer: Im Vorschlagswesen zum Beispiel. Obwohl es mitunter ein alter Briefkasten im Pausenraum auch tun würde. Ich bin sehr für eine Vernetzung! So ist mir zu Beispiel durch den Kopf gegangen, im Pausenraum einen vernetzten PC aufzustellen in dem Mitarbeiter ähnlich wie bei Facebook oder Xing ein Profil anlegen können. Obst- und Gemüsebereichsleiter aus der und der Filiale könnten dann mit anderen Bereichsleitern ihre Erfahrungen austauschen. Es wäre interessant, was dabei rauskommt.
 
JMW: Gibt es so etwas wie „Apple“ auch im Handel? Da erfindet ein Unternehmen ein Produkt und erreicht damit Zuwachsraten von 600%. Andere schaffen dagegen 10% oder weniger.
 
5. Wer beginnt, gewinnt
 
Klaus Pollhammer: Da sollten wir mal drüber nachdenken, was denn das I-Phone des Handels sein könnte! Da könnte man sicher viel Geld verdienen.
 
Ausgelöst durch die Bekundungen, dass die Krise kommt und die Krise da ist, ist der Handel wieder sehr nervös geworden. „Aktionitis“ greift massiv um sich, alle reißen die Preise runter. Es erinnert mich an die Theorie des Gefangengendilemmas.  Derjenige, der das als erster macht, profitiert. Und darum versucht es jeder zuerst zu machen. Aber das ist alles nicht neu.
 
Interessant sind diese Diskussionen im Zusammenhang mit der Preisentwicklung am Beispiel der Milch. Die Bauervertreter werfen dem Handel vor, die Milchpreise so nach unten zu drücken, dass den Bauern nichts mehr bleibt. Stützt man hingegen den Preis, weil uns das auf einer anderen Ebene etwas wert ist, schreien sofort die Konsumentenvertreter, dass die Konsumenten von diesen Preisentwicklungen nach unten nicht mit profitieren. Der Handel wird da zum Prügelknaben.
 
6. Die Globalisierung treibt die Regionalisierung an
 
Ich war selbst an einer Diskussion beteiligt, wo die Arbeitnehmervertreter gefordert haben, billiger produzierte Milch aus Deutschland und Dänemark zu importieren-  zum Vorteil des Konsumenten. Am gleichen Tisch sind Bauernvertreter gesessen, die nicht einmal widersprochen haben.
 
Letztendlich regelt das der Markt denn zum Glück legen die österreichischen Konsumenten Wert auf österreichische Produkte und sind bereit, bei Lebensmitteln dafür einen höheren Preis zu zahlen. Für österreichische und auch für regionale Produkte! Also wird die NÖM Milch (Anm: Niederösterreichischer Molkereiverband) in Niederösterreich gekauft und in Tirol die Tirol Milch.
 
JMW: Im Zeitalter der Globalisierung steigt der Anspruch der Kunden eher regionale Produkte zu haben. Ist das nur im Nahrungsmittelbereich so, oder ist das auch insgesamt ein Trend?
 
Klaus Pollhammer: Ich glaube, im Nahrungsmittelbereich ist das ganz besonders ausgeprägt. Bei anderen Bereichen ist das auch nicht so nachvollziehbar.
 
Speziell im urbanen Raum wird die Globalisierung stärker angenommen, im ländlichen Räumen oder von älteren Bevölkerungsgruppen weniger. Da wird eher davor Angst gemacht. Das Unbekannte und Unsichere wird dann a priori einmal bekämpft.  All diesen Ansprüchen gerecht zu werden, ist die Herausforderung für uns als Unternehmen.
 
JMW: Durch Sicherstellung regionaler Produkte…
 
Klaus Pollhammer: Genau, und die Sicherheit geben, dass Änderungen nur Häppchenweise vor sich gehen.
 
JMW: … und Stabilität vermitteln, dass sich nicht alles verändert. In diesem Zusammenhang – Stabilität und Veränderung: Was verändert sich für Sie als Person oder in Ihrem Führungsalltag? Gibt es da eine Richtung, was im Bereich Management und Führung mehr gefordert wird? Kristallisiert sich da etwas heraus, oder geht etwas weg?
 
7. Präsenz: in Ruhe ein Gespräch führen
 
Klaus Pollhammer: Für mich kristallisiert sich heraus, dass Management und Führung einfach sehr stark mit Präsenz zu tun haben. Für die Leute auch greifbar zu sein, auch unerwartet und nicht nur bei einem Jour-fixe. In Ruhe mit einem Mitarbeiter ein Gespräch führen können. Sonst verliert man sehr schnell den Kontakt und letztendlich auch die Verbindung und damit auch die Führung. Letztendlich komme ich in dem Gespräch drauf, dass sich vieles auf den persönlichen Kontakt bezieht und der aus meiner Sicht nicht ersetzt werden kann.
 
JMW: Beziehen Sie sich da auf die unmittelbare, nächste Ebene?
 
Klaus Pollhammer: Die unmittelbaren Mitarbeiter erleben das am stärksten, aber das hat Auswirkungen ins gesamte Unternehmen. Damit meine ich nicht nur eine zeitliche Präsenz. Vielmehr geht es mir darum, immer wieder hinein zu hören. Nur dann bekomme ich wirklich mit, was gerade läuft, und wo es gerade zwickt, oder wo ich mich einbringen sollte. Wenn ich dann einmal etwas in die Hand nehmen will, ist die Verbindung schon da.
 
JMW: In Kontakt sein, gut hinhören, zuhören, usw.
 
Klaus Pollhammer: Ja, wobei ich ja nicht der Psychotherapeut oder die Klagemauer von meinen Mitarbeitern sein will.
 
JMW: … sondern verstehen, was der andere meint. Das ist ja ein Unterschied zu lediglicher Informationsaufnahme.
 
Klaus Pollhammer: Ja. Ich erreiche damit ein besseres Verständnis und tue mir leichter, meine eigenen Vorstellungen weiterzugeben. Das ist keine Frage der Quantität. Es ist nicht notwendig, für jeden Mitarbeiter fünf Stunden planmäßig zu opfern. Da würde nichts rauskommen. Ich will ein Gefühl bekommen, wo von mir etwas notwendig ist.  Ich erspare mir dann auch einige Missverständnisse. Dieses „verstehst du mich immer noch nicht“ bleibt aus. Das ist es was ich persönlich mit Führung und mit Leadership verbinde: mir dieser Verantwortung bewusst und auch greifbar sein.
 
JMW: Wenn Sie gut zuhören, werden vermutlich auch viele Anliegen an Sie herangetragen?
 
Klaus Pollhammer: Ich trete ja nicht jedes Mal eine Grundsatzdiskussion los oder lasse zu, dass sich die Meinung des anderen durchsetzt. Das würde mich sehr schnell handlungsunfähig werden lassen. Ich muss Entscheidungen treffen, oder dafür sorgen, dass andere die Entscheidung treffen.
 
JMW: Setzt voraus, dass Sie selbst auch sehr klar sind, was Sie wollen.
 
8. Mitarbeiter für voll zu nehmen, ist eine Voraussetzung
 
Klaus Pollhammer: Ja. Voraussetzung für einen kooperativen Führungsstil ist es, mit den Mitarbeitern zu diskutieren und sie für voll zu nehmen.
Ich kann nicht mit einem arbeiten, von dem ich von vornherein überzeugt bin, dass er ein „Idiot“ ist. Dann mache ich etwas falsch. Ernstnehmen und vollnehmen ist eine Voraussetzung. Trotzdem muss ich dann eine Entscheidung treffen. Unternehmensführung ist keine basisdemokratische Entscheidung.
 
JMW: … und kein Populismus.
 
Klaus Pollhammer: Das wäre wahrscheinlich eine gefährliche Situation, wenn es so etwas einmal gäbe.  
 
JMW: Sehr präsent zu sein, gut zu zuhören, zu verstehen und gleichzeitig den eigenen Standpunkt auch zur Verfügung haben, macht die Entscheidung nicht leichter.
 
9. Es ist ein Fehler, sich Entscheidungen aufbürden zu lassen
 
Klaus Pollhammer: Ja, leichter macht es das nicht. Es kommt auf die eigene Bereitschaft an, seine eigene Meinung zu hinterfragen und, wenn etwas gut argumentiert wird, auch einen anderen Weg einzuschlagen. Ein altes Muster ist: Oben sitzen die Gescheiteren, und je weiter oben man ist, umso besser entscheidet man. Nach dem Muster verfahre ich nicht. Aber ich merke auch, dass viele Mitarbeiter die Entscheidung letztendlich auch nicht selber treffen wollen. Die muss man fast dazu zwingen.
 
Entscheidungen die ich nicht treffen will, delegiere ich mitunter an Mitarbeiter  zurück. Oder frage sie „Was würden Sie denn machen?“. Natürlich denke ich mit.
 
Für einen großen Fehler halte ich, sich Entscheidungen aufbürden zu lassen. Ein Fehler, den ich bei Kollegen beobachte und vermutlich auch selber mache. Nur selbst beobachtet man sich halt schwer…
 
Fordere ich die Entscheidung von meinem Mitarbeiter, dann ist er in der Verantwortung und wird sehr genau überlegen. Wir brauchen Mitarbeiter, die entscheiden, weil die Komplexität und die Tatsache, dass ich nicht mehr selber alles weiß, sie fordert. Wir brauchen Strukturen, wo Entscheidungen getroffen werden können und, wir brauchen Vertrauen, dass sie das richtig machen werden.
 
Sich darüber zu verständigen, worauf es in der Umsetzung ankommt, was als Output entstehen soll und wonach wir beurteilen, ob es richtig oder falsch gelaufen ist - genau darauf wird es mehr ankommen.
 
JMW: Die Stärkung der Eigenständigkeit der jeweiligen Ebene, sich nicht hierarchisieren lassen, offen sein für die Sichtweisen anderer – all das braucht das Gespräch und die Auseinandersetzung, ein gemeinsames Nachdenken. 
 
Klaus Pollhammer: Ja. Das passiert selten geplant sondern unbewusst, automatisch. Das ist halt mein Verständnis und meine Art, das zu handhaben.
 
JMW: Man könnte dafür auch Strukturen schaffen. Räume, in denen miteinander  nachgedacht werden kann, bevor entschieden wird. Gibt es das, entsteht das?
 
Klaus Pollhammer: Das entsteht dann, wenn man standardisiert und strukturiert Informationen weitergibt. Wenn ich z.B. alle meine unmittelbaren Mitarbeiter zusammen hole und wir uns austauschen. Ich berichte, was im Konzern passiert, die Informationen, die ich aus der Holding mitnehme, wo man sich auch fragen könnte: Warum muss der das wissen? Doch wenn ich solche Punkte anspreche und darüber berichte, entsteht daraus unerwartet Neues. Und es ist auch eine Wertschätzung der Mitarbeiter.
 
Wenn ich berichte, dass Bulgarien mit einer Deflation im zweistelligen Bereich zu kämpfen hat, und trotz des Absatzes von gleichen Mengen 10% weniger Umsatz bleibt, dann denken wir darüber nach, wie wir damit umgehen würden. Gerade in unserem erfolgsverwöhnten Land hat das Nachdenken darüber einen besonderen Wert.
 
Oder: wenn jeder aus seinem Fachbereich und über seine Probleme, die er hat, berichtet, dann können alle anderen das aufnehmen, und es kann etwas entstehen.
 
Informationsweitergabe erlebe ich jetzt wieder als sehr wertvoll. Wir alles wissen das, aber vergessen es gerne im Alltag.
 
JMW: Die Krise, so entnehme ich Ihren Worten, hat nicht wirklich essentiell etwas verändert. Entwicklungen, die Sie wahrnehmen sind solche, die ohnedies stattfinden würden und nicht unbedingt krisengetrieben sind. Oder habe ich da etwas übersehen?  
 
10. Bedrohliches und uns Zugutekommendes ist gleichzeitig da
 
Klaus Pollhammer: Wir sind in unserer Branche wahrscheinlich in der glücklichen Lage, dass es bedrohliche und gleichzeitig uns zugutekommende Tendenzen gibt. In vielen Haushalten, steht weniger zur Verfügung. Gleichzeitig nimmt auch der Außer-Haus-Verzehr ab. Das steigert wieder das Einkaufen bei uns. Und so nützt uns das dann wieder.  Im Cash & Carry Bereich, in der Gastronomie, gibt es dagegen wirklich massive Einbrüche, die nicht kompensiert werden können. Wir in unserer Branche können das.
 
Das führt auch zu ganz paradoxen Entwicklungen. In der Obersteiermark, in einer Region mit vielen Auto-Clustern, verzeichnen wir beispielsweise überdurchschnittliche Zuwächse, weit über unseren Budgets. Möglicherweise liegt das daran, dass die Leute jetzt nicht auf Urlaub fahren, und es sich dann daheim gut gehen lassen. Oder es liegt  daran, dass man aufgrund der Kurzarbeit plötzlich mehr Zeit hat zum Einkaufen hat. Ich weiß es nicht.
 
Was uns im Handel ganz gut getan hat ist, dass die Inflation etwas abgenommen hat, die Anfang 2008 sich ein bisschen überhitzt hat und es uns massiv zum Vorwurf gemacht wurde, dass alles teuer wird. Das hat wieder abgenommen.
 
Ich glaube, wir haben die Krise zwar verzögert und auch noch nicht so massiv gespürt, aber wir werden sie dafür länger spüren. Und das wird noch kommen. Ich bin mir sicher, dass die Arbeitslosigkeit auch in Österreich steigt.
 
Eine sehr interessante Studie besagt, dass Menschen in den Haushalten, die sich fürchten, arbeitslos zu sein, genau das gleiche Verhalten an den Tag legen, wie die, die wirklich von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Notgroschen wird auf die Seite gelegt und jeder Euro zwei Mal umgedreht, bevor er ausgegeben wird.
 
Das wird schon noch stärker werden. Wir dürfen auch nicht unterschätzen, dass unsere eigenen Mitarbeiter ebenfalls Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben. Selbst in den Filialen, wo wir gute Zuwächse haben. Die Mitarbeiter in den Filialen wissen, wie es um den Umsatz steht. Wahrscheinlich können Sie die Zusammenhänge nicht sehen oder sind angesteckt von den Krisenberichten in den Medien.
 
JMW: Kann sich das nicht sehr schnell ändern? Unternehmen verschwinden auch vom Markt.
 
Klaus Pollhammer: Im stationären Handel nicht. Wir brauchen unsere Filialen und dort unsere Mitarbeiter, damit wir das Geschäft machen können. Natürlich kann die eine oder andere Filiale zugesperrt werden und natürlich hat es schon Handelsunternehmen gegeben, die zur Gänze verschwunden sind. Doch meist gehen die Filialen dabei nicht verloren. Selbst vom Konsum haben wir noch viele Standorte.
 
JMW:  Bei all diesen angesprochenen Themen – gibt es Fragestellungen, auf die Sie zurzeit selbst auf der Suche nach Antworten sind?
 
11. In der Führung muss jeder seinen eigenen Weg finden
 
Klaus Pollhammer: Bei Fragen zum Führungsstil und zu Leadership muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ich habe lange gesucht und bin auf einem Weg, mit dem ich gut zurecht komme. Aber es gibt auch andere Wege. Ich kann akzeptieren, dass jeder Stil für sich einen Nutzen hat und auch etwas hervorbringt. Diese Vielfalt kann das Unternehmen insgesamt wieder weiter bringen.
 
JMW: Ein Unternehmen, dass von der Unterschiedlichkeit in der Führung lebt?
 
Klaus Pollhammer: Genau das gilt es zuzulassen. Die Führungskräfte haben dann jene Mitarbeiter, die sie verdienen und müssen mit Ihnen zu Rande kommen. Ein Armutszeugnis von Führungskräften ist, wenn sie sich über ihre eigenen Mitarbeiter beschweren. Das zeichnet eine Führungskraft nicht gerade aus. Aber wahrscheinlich ertappt man sich auch selber irgendwann einmal dabei.   
 
JMW: Herr Pollhammer, hätten Sie im Zuges unseres Gespräches eine Frage an meiner Stelle gestellt, oder hätten Sie eine erwartet, auf die wir jetzt nicht gekommen sind?
 
Klaus Pollhammer: Im Grunde nicht. Ich habe mich auf keine Fragen eingestellt und auch keine Antworten vorbereitet. Das erlebe ich als spannend. Letztlich glaube ich, dass für all die eben besprochenen Entwicklungen die Krise nicht der Auslöser ist! Das sind Veränderungen, auf die sich alle Unternehmen auch anderer Branchen wahrscheinlich schon längst eingestellt haben und wir im Handel noch ein bisschen hinterher hinken. Aber das wäre so und so gekommen.
 
JMW: Herr Pollhammer, ich danke Ihnen für das Gespräch!
 
Klaus Pollhammer: Sehr gerne!
 
 

12. Biografisches
 
Mag. Klaus Pollhammer (geb. 1970) ist seit 2006 im Vorstand der Merkur Warenhandels AG tätig. Merkur betreibt 120 Verbrauchermärkte in ganz Österreich und beschäftigt rund 10.000 Mitarbeiter.
 
Studium der Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Controlling und Marketing in Linz und Rouen (Frankreich). 1996 Eintritt in den REWE-Konzern und dort tätig im Rechnungswesen und Controlling. Ab 2000 Leiter des Konzern-Controllings und zuständig für das Berichtswesen der REWE in Österreich, Italien und CEE. Verantwortet jetzt neben Controlling die Bereiche IT/Organisation, Lease Management, Floor- und Space-Management, Personalentwicklung sowie den Direktzusteller Merkur Direkt. Seit 2008 Mitglied des Aufsichtsrates der ADEG AG.
 


* Dieses Gespräch Teil des Forschungsprojektes „In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen“. In diesem Forschungsprojekt werden Personen interviewt, die eine maßgebliche Führungsfunktion in einer Organisation innehaben. Ziel dieser Gespräche ist, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was derzeit als unternehmerisch relevant erlebt wird, und welche grundlegend neuen Fragen sich dabei herauskristallisieren. Dieses Forschungsprojekt entstand im Rahmen von metalogikon. Die Interviews und die zusammengefassten Erkenntnisse daraus sind abrufbar unter www.metalogikon.com